Viele Start-ups im medizinischen Bereich verfolgen die Strategie, möglichst viele Bluttests oder sogar MRTs durchzuführen, um Basisdaten zu sammeln. Die Logik dahinter: Mehr Informationen müssen zwangsläufig zu besseren Diagnosen führen. Doch diese Annahme greift zu kurz und ignoriert wesentliche Prinzipien der evidenzbasierten Medizin. Statt ungezielter Massentests ist ein präzises, auf den einzelnen Patienten abgestimmtes Vorgehen entscheidend – insbesondere unter Berücksichtigung der sogenannten Vortestwahrscheinlichkeit.

Die Idee, asymptomatische Erwachsene durch groß angelegte Screeningprogramme zu testen, wurde in den letzten Jahren mehrfach in Frage gestellt. Ein umfassender systematischer Review von Saquib et al. (2015) zeigt, dass Screening in vielen Fällen keinen signifikanten Einfluss auf die Mortalitätsraten hat. Selbst für populäre Früherkennungsverfahren wie die Mammographie oder den Prostata-spezifischen Antigen-Test konnte nicht nachgewiesen werden, dass sie die Gesamtmortalität senken. Tatsächlich wurden die Sterblichkeitsraten bei vielen Krankheiten, für die Früherkennungsuntersuchungen durchgeführt werden, selten signifikant gesenkt. Lediglich bei einigen spezifischen Erkrankungen wie dem Bauchaortenaneurysma gibt es Hinweise darauf, dass ein gezieltes Screening Leben retten kann.

Wer viel misst, mist viel Mist.

Das wirft die Frage auf: Warum setzen dennoch viele Start-ups auf umfassende, ungezielte Tests? Die Antwort könnte in einem Missverständnis darüber liegen, was diese Tests eigentlich aussagen. Die Referenzbereiche, innerhalb derer Testergebnisse üblicherweise als „normal“ oder „auffällig“ eingestuft werden, sind oft wenig differenziert und können je nach Alter, Geschlecht oder Vorerkrankungen stark variieren. Ein leicht außerhalb des Normbereichs liegender Wert bedeutet nicht zwangsläufig eine Erkrankung – ebenso wenig wie ein normaler Wert garantiert, dass keine Erkrankung vorliegt.

Besonders problematisch ist es, wenn das Screening-Ergebnis zu unnötigen Folgeuntersuchungen führt. Dies birgt nicht nur die Gefahr von Überdiagnosen und Überbehandlungen, sondern belastet auch die Ressourcen des Gesundheitssystems. Die Vorstellung, dass „mehr“ automatisch „besser“ ist, ist daher irreführend. Im Gegenteil: Eine Untersuchung sollte nur dann durchgeführt werden, wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich einen medizinischen Mehrwert bringt. Eine wichtige Richtschnur ist dabei die Prä-Test-Wahrscheinlichkeit. Diese berücksichtigt den klinischen Kontext, die Anamnese und die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Krankheitsbild vorliegt. Ohne diesen Kontext werden Tests schnell zu einem Schuss ins Blaue.

Darüber hinaus betonen Gesundheitsbehörden wie das britische National Screening Committee, dass ein Screening-Programm nur dann sinnvoll ist, wenn es nachweislich die Mortalität senkt und die positiven Effekte die Risiken wie Überdiagnosen deutlich überwiegen. Die Einführung von flächendeckenden Screening-Programmen ohne fundierte Datenlage kann daher mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Der Weg zu einer präziseren und personalisierten Medizin führt über eine gezielte, auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Diagnostik. Start-ups, die auf umfangreiche Testbatterien setzen, sollten sich stattdessen auf die sinnvolle Auswahl von Tests konzentrieren, die in einem klaren klinischen Kontext stehen. Nur so kann vermieden werden, dass Patienten durch unnötige Untersuchungen verunsichert und das Gesundheitssystem durch überflüssige Diagnostik belastet wird.

Mehr hierzu unteR:

  • https://www.gov.uk/government/publications/evidence-review-criteria-national-screening-programmes/criteria-for-appraising-the-viability-effectiveness-and-appropriateness-of-a-screening-programme
  • https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25596211/
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